Freitag, 21. Oktober 2011

Auf Den Zweiten Blick

Äußerlich perfekt, innerlich zerbrochen
Sie konnte sich an nichts mehr erinnern, als die junge Frau auf einem Friedhof das Bewusstsein wiedererlangte, während sie aus einer Kopfwunde blutete. Die Umgebung kam ihr nicht bekannt vor und auch ihren Namen wusste sie nicht, doch eines war ihr klar: Sie litt an Amnesie. Als sie jedoch den Mann erblickte, der auf sie zu warten schien, versuchte sie ihren stolpernden Gang zu normalisieren und ging auf ihn zu. Er hatte ein blaues Auge und diese Erkenntnis schien etwas tief in der Frau auszulösen, das sie in diesem Moment aber noch nicht benennen konnte. Doch nach und nach sollten die schrecklichen Erinnerungen zurückkehren.

Von Anfang an schien sie anders zu sein als jede Frau die er je getroffen hatte. Vielleicht lag es daran, dass die Vögel ihm diese Begegnung vorausgesagt haben. Will war nur zur Hälfte ein Indianer, doch er hatte viel von den Gebräuchen und Geschichten gelernt, die seine Großeltern ihm beizubringen versucht hatten. Die Sioux glaubten daran, dass Vögel wichtige Botschaften überbrachten, aber Will wollte nichts davon wissen. Er fühlte sich weder als Sioux, noch als Weißer und seine Begegnung mit Cassie, der Frau eines der beliebtesten Schauspieler L.A.s, war nicht vorherbestimmt sondern nur Zufall. Jedenfalls redete er sich das ein.

Der Rettungsring in einem tiefen Abgrund
Die Geschichte ist eine, die man kennt. Die man in Zeitungen oder in den Nachrichten im Fernsehen gesehen hat. Und immer wieder stellt man sich dieselbe Frage: Wie kann eine Frau bei ihrem Mann bleiben, wenn dieser sie körperlich misshandelt? Und genau darum geht es in diesem Roman. Man wird nicht sofort ins kalte Wasser geworfen und mit den schlimmen Ereignissen konfrontiert, die Cassie widerfahren sind und doch weiß man unmissverständlich sofort, welche Bürde Cassie zu tragen hat.

Jodie Picoult ist eine Künstlerin der Worte. Sie hat es bisher immer wieder geschafft, mich mit ihren Geschichten völlig aus dem Konzept zu bringen, aber diesmal war es anders. Denn ihre Charaktere sind nicht nur sehr authentisch, sondern auch vollkommen menschlich, ganz gleich welches Ansehen sie besitzen. Eigentlich sollte man glauben, dass Menschen die jemand anderen körperliche Gewalt zufügen, schlecht sind und nichts anderes verdienen als dieselbe oder eine noch schlimmere Behandlung. Doch Jodi Picoults Charaktere haben eine Vergangenheit, die der Leser unverblümt mitbekommt und man immer besser versteht, wieso alles so gekommen ist. Je weiter man liest, desto besser versteht man auch Cassie und den Grund, wieso sie ihren Mann nicht verlassen will.

Es ist wirklich erschreckend wie nah die Autorin mit ihren Geschichten an die alltägliche Wahrheit kommt. Man leidet nicht nur mit Cassie mit, auch Alex, der seine Frau aus Frustration, Angst und Ärger schlägt, wächst dem Leser doch sehr ans Herz. Aber genauso Will, der wie der perfekte Mann scheint und alles für Cassie tun würde, und doch weiß, dass sie Alex ewig lieben würde, lässt einen nicht kalt. Man weiß selbst nicht, für wen Cassie sich lieber entscheiden sollte, denn während der eine verzweifelt nach Liebe sucht, versucht der andere vor seiner Vergangenheit davonzulaufen.

Fazit
Ich liebe die Geschichte und doch bin ich auch entsetzt darüber. Ich hatte Gänsehaut und Tränen in den Augen aber musste ab und zu auch über die schönen Szenen lächeln. Wer schon einige von Jodi Picoults Büchern gelesen hat, weiß, dass es bei dieser Autorin kein Happy End gibt, denn ihre Romane gleichen dem realen Leben. Vielleicht ist es gerade das, was einen so süchtig nach ihren Geschichten macht: Die alltägliche Wahrheit, die erschreckenderweise nicht nur in ihren Büchern existiert.

Irie Rasta Sistren dankt PIPER herzlichst für die Bereitstellung dieses Buchs.

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