Freitag, 20. November 2009

Der Vorleser

Stell dir vor...
... du bist ein Junge von fünfzehn Jahren und gerade auf dem Weg nach Hause. Doch dir war den ganzen Tag schon verdammt schlecht und es bleibt dir nichts anderes übrig, als einer wildfremden Frau vor die Füße zu brechen, die um einiges älter ist als du. Sind das gute Voraussetzungen für eine Beziehung? Ich denke nicht, doch dieses Buch hat mich davon überzeugt, dass sogar die absurdesten Momente, dein Leben verändern können. Es erzählt nämlich nicht nur von einer fast unmöglichen Liebe, die nicht geheim gehalten werden will, es aber keine andere Lösung gibt. Sondern ist auch der Holocaust im Dritten Reich ein wichtiger Bestandteil der Geschichte.

Michael Berg und Hanna Schmitz
Nachdem Hanna sich um Michael gekümmert hatte, als er vor ihr erbrochen hat, stellte sich heraus, dass der Junge an Gelbsucht erkrankt war. Es vergingen viele Monate, bis er sich erholt hatte und beschloss, als Dank für Hannas Hilfe, der Frau Blumen vorbeizubringen die er extra von seinem Taschengeld gekauft hat. Hanna, eine Frau in den späten Dreißigern, war robust gebaut und hatte ein hartes Gesicht, doch irgendetwas zog Michael magisch an sie an. Die beiden begannen sich regelmäßig zu treffen, sich zu duschen und dann ihrer Leidenschaft nachzugehen. Nach einiger Zeit wollte Hanna, dass Michael ihr gemeinsames Ritual veränderte, indem er ihr immer als erstes vorlas, denn sie liebte es Geschichten zu hören.

Einige Zeit ging die Beziehung auch gut, obwohl Streitereien nicht ausblieben, bis Hanna eines Tages nicht mehr zu Hause war. Die Jahre vergingen und Michael war nun ein junger Erwachsener geworden und hatte begonnen Jura zu studieren. Mit einigen Kollegen besuchte er eines Tages einen Kriegsverbrecherprozess. Es ging um Wärterinnen eines Lagers in Auschwitz, die mit ansahen wie eine Kirche niederbrannte, obwohl drinnen Menschen gefangen waren. Sie wurde auch beschuldigt, sich zur Zeit des Krieges, öfters schwache und kranke Mädchen ausgesucht zu haben, die ihr nachts immer vorlesen sollten und dann direkt in den Tod geschickt wurden. Nun wurde Michael bewusst, dass Hanna Analphabetin war. Der Prozess ging hauptsächlich gegen die nun alte und abwesend wirkende Hanna, die angeblich der Kopf der ganzen Aktion war. Von ihren Kolleginnen wurde sie beschuldigt den Bericht verfasst zu haben, in dem alles zugegeben war, und als einzige im Besitz des Schlüssels gewesen zu sein, der die Kirchentür hätte aufsperren können. Der Prozess verlief immer schlechter für Hanna, die auch zugab, den Bericht geschrieben zu haben, obwohl sie ja nicht Lesen und Schreiben konnte. Sie schämte sich für ihren Analphabetismus und Michael war schon fast dabei gewesen Hannas Geheimnis zu lüften. Doch wenn ihr wichtiger war, keine Scham zu empfinden, als ein Leben in Freiheit, wieso sollte er dann darum kämpfen?
Hanna bekam lebenslange Haft und Michael war inzwischen verheiratet. Er hatte auch eine kleine Tochter, die er nach der Scheidung aber immer weniger zu Gesicht bekam. Hanna war immer noch in seinen Gedanken und eines Tages beschloss er, ihr wieder vorzulesen. Er kaufte sich einen Kassettenrekorder und bespielte damit die leeren Kassetten. Weder einen persönlichen Gruß richtete er an sie, noch eine Bemerkung, wie ihm die Geschichte gefallen hatte. Er las den Titel vor, den Autor, und nachdem die letzte Seite der Geschichte vorbei war, drückte sein Finger auch auf die Stopp-Taste. Dann schickte er diese ins Gefängnis und begann von Neuem. Zehn ganze Jahre hatte er Hanna auf diese Weise vorgelesen und sie hatte ihm dafür Briefe geschrieben. Anfangs war ihre Schrift kindlich und wackelig, bis sie dann immer regelmäßiger wurde. Sie hatte nun Lesen und Schreiben gelernt und er freute sich sehr für sie, dass sie sich davor nicht mehr zu schämen brauchte.
 
Eines Tages bekam Michael dann einen Anruf. Hanna könnte das Gefängnis verlassen und er solle sich um Arbeit und ein Zuhause für sie kümmern, da sie weder Familie noch Freunde hatte – bis auf ihn. Kurz bevor Hanna nun endgültig entlassen werden sollte, ging er sie besuchen. Sie war alt, hatte nicht mehr penibel genau auf ihr Äußeres geachtet, wie sie es tat als Michael noch ein Teenager war, aber dennoch freuten sich beide sehr, den anderen zu sehen, auch wenn ihre Unterhaltung etwas kühl und sachlich wirkte. Er erklärte ihr, dass er sie am Tag ihrer Haftentlassung abholen kommen würde und ging dann.
Das war das letzte Mal, dass Michael Hanna noch lebend sah. In der Nacht vor ihrer Entlassung hatte sich die alte Frau in ihrer Zelle erhängt.

Cover
Das Originaltitelbild zeigt das Stadtleben mit Straßenbahnen und Häusern. Der Umschlag über dem Einband hat als Cover aber das Titelbild des Films, der Hanna und Michael beim Lesen zeigt.

Fazit
Die Geschichte beinhaltet Themen die heute immer noch nicht in Vergessenheit geraten sind. Auch wenn Hanna oft als Mörderin dargestellt wird, fühlt man am Schluss den Schmerz, den Michael fühlen musste, als er erfuhr, dass Hanna sich das Leben genommen hatte. Die Geschichte ist im Großen und Ganzen sehr traurig geschildert aber genau das macht das Buch so unwiderstehlich.

Irie Rasta Sistren dankt Diogenes herzlichst für die Bereitstellung dieses Buchs.

1 Kommentar:

  1. es besteht anfangs aus soviel ungewissheit und hat eine starke wendung am schluss.
    die gefühle und gedanken wurden auch sehr gut wiedergegeben.

    dieses buch ist sehr zu empfehlen!!!!

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